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Frage & Antwort: " Der Ausgang des britischen EU-Referendums "

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بسم الله الرحمن الرحيم

Was sind die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen eines EU-Austritts Großbritanniens? Ist Großbritanniens Austritt aus der EU nun eine definitiv beschlossene Sache, d. h. gibt es für das Vereinigte Königreich noch die Möglichkeit einer Revision? Und haben die USA bei dieser Angelegenheit auch eine Rolle gespielt? Möge Allah es dir vergelten!

Antwort:

Um das Bild zu verdeutlichen und die überwiegende Ansicht bezüglich dieser Angelegenheit ersichtlich zu machen, legen wir Folgendes dar:

1 – Großbritannien hat seit der Weltwirtschaftskrise 2008 seine Probleme mit der EU stets in den Fokus gerückt, vor allem im Hinblick darauf, dass die EU nicht im Sinne Großbritanniens funktioniere. In einer Rede im Januar 2016 verdeutlichte Premierminister David Cameron die britische Position gegenüber der EU wie folgt: „Die Europäische Union ist in Großbritannien mehr und mehr unbeliebt geworden. Deswegen benötigen wir ein Referendum, um die Bedenken der Menschen in Großbritannien gegenüber der EU auszuräumen. Wie z. B. die Idee von zu vielen Regelungen und Bürokratie oder die Idee, dass die EU lediglich zu einem Club mit einer Gemeinschaftswährung werden könnte. Dies lehnen wir ab. Auch die Idee, dass Europa wirklich darüber nachdenkt, zu einer politischen Union zusammenzuwachsen, hat Großbritannien nie goutiert. Ebenso hat sich Großbritannien niemals mit der Idee anfreunden können, selbst zu einem Teil einer immer enger rückenden politischen Union zu werden. Wir sind ein stolzes und unabhängiges Land mit unabhängigen demokratischen Institutionen, auf die wir stolz sind und die uns gute Dienste geleistet haben. Wir wollen auch klar betonen, dass dies unsere Angelegenheit ist. Europa besteht aus unabhängigen Nationalstaaten, die zusammenkommen, um für gemeinsame Interessen zu kooperieren und zusammenzuarbeiten. Europa ist jedoch keine sich weiter vertiefende politische Union, die das britische Volk nicht will und die es auch nicht unterzeichnen wird.“ (Gov.uk, 21. Januar 2016)

Basierend darauf trat Cameron letzten Februar in Verhandlungen mit den Europäern ein und erreichte das meiste von dem, was die Briten erreichen wollten: Er erreichte die Wahrung der nationalen Identität Großbritanniens. So wird das Vereinigte Königreich nicht in die politische Union integriert und behält dadurch seine unabhängige politische Entität gegenüber der Union. Auch das Schengen-Abkommen wird nicht auf Großbritannien angewandt, sodass seine Grenzen keinen unerwünschten Einschränkungen unterliegen. Die EU erkennt zudem die britische Währung an, sodass es nicht der Eurozone beitreten muss. Ebenso wurden die Rechte der nach Großbritannien ziehenden Europäer beschnitten, sodass sie erst nach 4 Jahren ordentlichen Aufenthalts in Großbritannien Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen und Gratiswohnen haben. Cameron hatte bei der Unterzeichnung des Abkommens erklärt: „Das Abkommen, das mit den Staatsoberhäuptern der EU abgeschlossen wurde, gewährt Großbritannien einen besonderen Status innerhalb der Union.“ (BBC 20/02/2016).

Cameron hatte von der EU auch gefordert „den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten größere Befugnisse einzuräumen, sodass diese Parlamente – einschließlich des britischen Parlaments - in der Lage sind, Einspruch gegen die Entscheidungen des Europäischen Rates einzulegen oder diese aufheben zu können.“ Die EU akzeptierte diese Forderung aber nicht. Großbritannien hat vieles erreicht, jedoch wollte es darüber hinaus eine unverbindliche Beziehung zu den Entscheidungen und Gesetzen der EU haben, sodass es ablehnen und annehmen kann, was es möchte, und die EU keinerlei Macht über Großbritannien auszuüben vermag. Dies ist es, was die Engländer wollten. Sie hatten die Absicht, die EU äußerst schwach zu halten, ohne irgendeine Macht über seine Mitgliedstaaten. Wie es typisch für sie ist, wollten die Briten von der EU profitieren, ohne an die Gesetze der Union gebunden zu sein. Dafür haben sie das Referendum und den möglichen EU-Austritt als Druckmittel und Erpressungsinstrument eingesetzt, um besondere Privilegien zu erlangen. Bekanntlich hatte Cameron in seiner Wahlkampagne versprochen, im Falle seines Sieges bei der Wahl 2015 dieses Referendum abzuhalten. In gewohnter britischer Manier wurde mit dem Referendum gedroht, um besondere Privilegien durchzusetzen, indem der EU und ihren Mitgliedstaaten vor dem politischen und wirtschaftlichen Chaos Angst gemacht wird, das ein EU-Austritt Großbritanniens nach sich ziehen würde.

Die britische Politik der Androhung eines Referendums, um Vorteile gegenüber der EU herauszuschlagen, ist nicht neu. Vielmehr wird sie seit dem Beitritt Großbritanniens zu den europäischen Strukturen verfolgt. So ist Großbritannien seit Januar 1973 Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die Beibehaltung seiner Währung, des britischen Pfunds, und sein Verbleib außerhalb der Schengen-Zone waren Symbole für den Sonderstatus, den Großbritannien trotz seiner Mitgliedschaft in der EU genoss. Es benutzte stets die Idee eines Referendums über seinen Verbleib in der EU als Druckmittel gegenüber den europäischen Staaten, um mehr Privilegien für Großbritannien innerhalb der EU herauszuholen. So hielt es bereits im Jahre 1975 ein Referendum ab, um seine Konditionen für einen Verbleib in der Gemeinschaft zu verbessern. Die britische Bevölkerung stimmte damals für den Verbleib in der EWG.

Das jetzige Referendum ist somit nichts Neues hinsichtlich britischer Referenden, die ihren Zweck erfüllen sollen, selbst wenn dieser Zweck schmutzig ist. So leitete die konservative Partei (Conservative Party) mit Hinterlist und prominenten Parteileuten beide Kampagnen gleichzeitig, sowohl die für den Verbleib als auch die für den Austritt! An der Spitze der Kampagne für den Verbleib stand der britische Premierminister persönlich, während die Austrittskampagne vom Parlamentsmitglied Boris Johnson angeführt wurde, dem ehemaligen Bürgermeister Londons, der von seinem Bürgermeisterposten zurückgetreten war, um einen sicheren konservativen Parlamentssitz des Londoner Wahlbezirks einzunehmen. Er verfolgte damit das Ziel, eventuell zukünftiger Premierminister zu werden. Des Weiteren stand auch der aktuelle Justizminister Michael Gove an der Spitze der Austrittskampagne. Cameron hatte erklärt, dass „der Tag für die Abhaltung des Referendums über einen Verbleib in der EU auf den 23. Juni 2016 festgelegt“ worden sei. Dies sei bei einem Regierungstreffen beschlossen worden. (Monte Carlo 20/04/2016). Trotz seiner Unterstützung für das EU-Abkommen wollte er seine Partei nicht dazu zwingen, das Abkommen ebenfalls zu unterstützen.

Während Cameron erklärte, dass die Entscheidung, die EU zu verlassen, „einen großen Fehler“ darstelle, der zu Unsicherheit führen würde, die bis zu einem Jahrzehnt andauern könnte, sagte sein Justizminister Gove dem „Sunday Telegraph“, dass Großbritannien ein „fortschrittlicher Leuchtturm für die Welt“ sein würde, wenn es die EU verließe. Weiterhin meinte er: „Die Menschen sollten für die Demokratie und Großbritannien sollte für die Hoffnung stimmen.“ (BBC 19/06/2016). Auf diese Weise bildeten der britische Premierminister und einige aus der Führungsriege seiner Partei das Lager, das den Verbleib Großbritanniens in der EU unterstützte, während sein Justizminister Gove und eine Gruppe anderer Minister aus Camerons Kabinett die Brexit-Kampagne gemeinsam mit dem ehemaligen Bürgermeister Londons Boris Johnson koordinierten, einem ebenfalls prominenten Kopf in der konservativen Partei.

Prüft man die politische Herangehensweise der von Cameron geführten, regierenden Conservative Party in Bezug auf das erwähnte Referendum genauer, wird klar, dass sich Cameron kein eindeutiges Ergebnis erwartet hatte. Wäre es zu einem ausgeglichenen Ergebnis gekommen, hätte man eine erneute Volksbefragung durchführen oder aber das Ergebnis für weitere Verhandlungen mit der EU zweckentfremden können. Dies ist auch der Grund, weshalb die Conservative Party Camerons sowohl die Kampagne zum Verbleib als auch zum Verlassen der Union geführt hat. Keine dieser Kampagnen wurde mit der ernsthaften Absicht zum Bleiben oder Verlassen der Union auf die Beine gestellt. Vielmehr handelte es sich bei beiden Kampagnen nur um Mittel und Wege, weitere Zugeständnisse von der EU zu erhalten. Dies ist anhand der Tatsache ersichtlich, dass Cameron seine eigene Partei nicht zur Unterstützung verpflichtete, obwohl er selbst dem Abkommen zustimmte. Wäre er ernsthaft entschlossen gewesen, in der Union zu bleiben, hätte er seine Partei aufgefordert, ihre Stimme für den Verbleib in der EU abzugeben, was dazu geführt hätte, dass eine starke Mehrheit der Stimmen sich für den Verbleib in der EU ausgesprochen hätte.

Doch er ließ es zu, dass die Partei sich intern in zwei Lager spaltete, was belegt, dass es weniger die Absicht war, ein klares Ergebnis für den Verbleib oder den Austritt zu erzielen, als vielmehr – wie erwähnt – ein Druckmittel in Händen zu halten. Überwiegend wird dies auch durch das Verhalten Boris Johnsons, des führenden Gesichts der Brexit-Kampagne, bestätigt. Wäre ihm seine Kampagne ernst gewesen, hätte man dies an seinen Erklärungen erkannt: Sie wären weiter so ausgefallen, wie es in seiner Anti-EU-Kampagne vor der Abstimmung der Fall war. Doch hat sich der Ton seiner Erklärungen nach der Abstimmung geändert und sich der Politik des Verbleib-Lagers angenähert! So sagte er in einer Rede am Montag nach der Abstimmung, dass das Vereinigte Königreich „ein Teil Europas“ sei, und dass die Zusammenarbeit mit benachbarten Staaten weiter „vertieft“ werden würde. Außerdem sagte er bezüglich des EU-Austritts, dass dieser „niemals in Hektik“ stattfinden werde. (www.almodan.com/arabworld/2016/6/28)

Sein „Brexit-Partner“, Nigel Farage, Führer der UK Independence Party und größter Befürworter der Brexit-Kampagne überhaupt, sagte in seiner ersten Ansprache nach der Volksbefragung im Europäischen Parlament: „Wieso verhalten wir uns nicht erwachsen, pragmatisch, vernünftig und realistisch? Lasst uns zu einem vernünftigen Deal in der Zollfreiheit gelangen, danach werdet ihr sehen, dass das Vereinigte Königreich euer Freund sein wird. Wir werden mit euch Handel treiben und mit euch kooperieren und eure besten Freunde auf der Welt sein. Lasst uns das vernünftig tun. Erlaubt uns, dass wir losziehen, um unsere globalen Bestrebungen und die Zukunft zu verfolgen.“ (The Telegraph, 28.06.2016)

All dies deutet darauf hin, dass die Conservative Party mit ihren beiden Lagern, sowohl den Brexit-Befürwortern als auch den Brexit-Gegnern, nicht so sehr den Verbleib oder den Austritt im Auge hatte, als vielmehr das Erzeugen von Druck auf die EU, um über noch mehr Zugeständnisse zu verhandeln. So sollte das Abstimmungsergebnis nicht entscheidend ausfallen, sondern eher ausgeglichen, um zwischen einem Für und einem Wider zu stehen und die Möglichkeit zu einer erneuten Abstimmung zu eröffnen oder zu erneuten Verhandlungen mit der EU.

Jedoch ging das Referendum nicht so aus, wie man es geplant hatte. So war das Ergebnis der Abstimmung eine 52-prozentige Mehrheit für den Austritt. Der Schock war nun da! Ein Schock deshalb, weil Großbritannien durchaus weiterhin Teil der EU bleiben wollte, um von den Vorzügen der EU zu profitieren, insbesondere der wirtschaftlichen, ohne sich jedoch an die EU-Gesetze halten zu müssen. So hat Großbritannien während seiner gesamten Zeit in der EU für Unfrieden gesorgt. Es drohte mit Volksabstimmungen, führte Verzögerungstaktiken durch, stemmte sich gegen Entscheidungen und kreierte Probleme. Oftmals waren ihre Manöver erfolgreich. Diesmal jedoch lief es nicht wie gewünscht. Tatsächlich kann Großbritannien die EU nicht verlassen und die Beziehungen zur EU auch nicht abbrechen, da dies seinen sicheren Niedergang bedeuten würde. Gleichzeitig aber predigt es das Prinzip der Mehrheitsmeinung, das gemäß dem Abstimmungsergebnis zum Verlassen der EU verpflichten würde. Aufgrund dessen befindet sich Großbritannien jetzt in einer fatalen Lage und hat sich in ein Schlamassel manövriert.

2. Der Schock erfasste nicht nur Großbritannien und Europa, sondern darüber hinaus auch weitere Länder. Dies aufgrund des Ergebnisses des Britischen „BREXIT“-Referendums, dass am Donnerstag, dem 23.06.2016, stattfand, nachdem zuvor Umfragen indizierten, dass die britische Wählerschaft durchaus dem Verbleib in der EU zustimmen würde. Auch wenn das Referendum über Großbritannien hinaus und selbst über die EU hinaus gravierende Auswirkungen hatte, so hatte es die größten Auswirkungen auf Großbritannien selbst. Dies sowohl in wirtschaftlicher als auch politischer Hinsicht:

- Was die wirtschaftlichen Konsequenzen angeht, so war das Vertrauen in Großbritannien und dessen Wirtschaft wenige Minuten nach Bekanntgabe der Umfrageergebnisse zutiefst erschüttert. Zu diesem Zeitpunkt fiel der Wert des Pfund Sterlings im Vergleich zum amerikanischen Dollar um 10% und im Vergleich zum Euro um 7%. Die Erschütterung war für den europäischen und asiatischen Finanzmarkt spürbar. So berichtete Reuters am 28.06.2016: „Das Ergebnis der Volksabstimmung führte zu einem Verlust von 3 Trillionen US-Dollar. Noch immer sind die Finanzgeschäfte durch extreme Schwankungen charakterisiert sind, selbst nachdem die politischen Entscheidungsträger versprachen, ihre Ökonomien zu schützen.“ Im Anschluss daran versuchte Großbritannien die Situation zu beruhigen, indem sie den Präsidenten der Bank of England erklären ließ, dass „eine ausreichende Liquidität von 250 Milliarden Pfund“ vorhanden sei und er „nicht zögern“ werde, „außerordentliche Notmaßnahmen“ zu ergreifen, um seiner „Verantwortung in Bezug auf den Fortschritt des Vereinigten Königreichs nachzukommen“. (BBC, 24.06.2016)

Die internationalen Kreditratingagenturen Standard & Poor‘s, Moody’s und Fitch stuften ihrerseits die Kreditwürdigkeit Großbritanniens ab. Es sind Erklärungen veröffentlicht worden, in denen es heißt: „Das Kreditrating Großbritanniens wurde von „AAA“ auf „AA“ abgewertet, was bedeutet, dass es auf Stufe Zwei gesetzt wurde. Dies ist das erste Mal, dass Großbritannien so etwas passiert. Die Agenturen erklärten, dass es „aufgrund der mangelnden Gewissheit, die auf das Veröffentlichen des Abstimmungsergebnisses folgen wird, es kurzfristig betrachtet zu einer großen Abschwächung kommen wird und das politische Umfeld es nicht zulässt, Entwicklungen vorauszusehen. Es wird jedoch zu weniger Stabilität und Effektivität kommen. Auch besteht die Möglichkeit, eine neuerliche Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands abzuhalten.“ (AFP, 27.06.2016)

Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte seinerseits vor einem extremen Rückgang der Immobilienpreise. Und das britische Finanzministerium erklärte: „Die Immobilienpreise könnten im Vergleich zu jenem Niveau, das sie in den kommenden zwei Jahren erreicht hätten, um circa 10% bis 18% sinken." (BBC, 24.06.2016)

Zudem sagte der Schatzkanzler (Finanzminister) George Osbourne, „dessen Versuche, die Märkte zu beruhigen, auf taube Ohren stießen, dass er die Steuern erhöhen und die Ausgaben kürzen werde müssen, um die Finanzstabilität zu gewährleisten. Unternehmen verkündeten, dass es keine weiteren Neueinstellungen geben werde und die Möglichkeit bestehe, dass Stellen abgebaut würden. Dies zerstörte die Hoffnungen der Wählerschaft, dass die britische Wirtschaft außerhalb der EU florieren würde.“ (Reuters, 28.06.2016)

Einige Unternehmen kündigten unverzüglich an, ihre Filialen in London schließen zu wollen, um sie in andere europäische Städte zu verlegen. Der FTSE 100 (britischer Aktienindex) fiel bei Eröffnung sofort um mehr als 8%. „Dies war seit 2008 der größte Sturz an einem Tag.“ (aljazeera.net, 24.06.2016)

All das belegt, dass Großbritannien durch die Volksabstimmung Schaden genommen hat. Es sind bereits schlechte Anzeichen für den Fall, dass es die EU endgültig verlässt. So leidet Großbritannien nach wie vor unter den Folgen der Finanzkrise, die 2008 ausgebrochen war. Es profitiert auch immens von der Europäischen Union, wie wir es in der „Antwort auf eine Frage“ vom 02.05.2016 ausgeführt haben. Dort heißt es:

Auch wirtschaftlich profitiert Großbritannien von der Europäischen Union. Dies nützt vor allem seinen Unternehmen und seiner vermögenden Elite. So dominieren in der britischen Wirtschaft die Dienstleistungen, und den Hauptteil davon bilden Finanzdienstleistungen. Großbritannien exportiert wenig Güter. Sein Einkommen beruht hauptsächlich auf Finanzdienstleistungen, Kapital- und Fremdwährungshandel. Der vereinte Wirtschaftsraum der EU bedeutet, dass Großbritannien nach ganz Europa seine Leistungen ohne wirtschaftliche Schranken exportieren kann. Das wiederum nützt den Großfirmen und der reichen Elite. Durch einen Austritt aus der EU käme ihm diese Position abhanden, was zu politischen Problemen im Lande führen würde. Auch bedeutet ein Austritt, dass Großbritannien von der EU getroffene Beschlüsse und Gesetze nicht mehr (automatisch) übernehmen würde. Nachdem die EU der Haupthandelspartner Großbritanniens ist, würde ein EU-Austritt seine Position als europäischer Staat in Europa schwächen. Darüber hinaus müsste es in diesem Falle die EU von außen herausfordern, was ihren Einfluss auf die EU schwächen würde. Eine Einflussnahme als Mitglied von innen her ist hingegen stärker und effektiver.

In derselben Frage-Antwort haben wir ausgeführt: Im März 2015 gewann das Vereinigte Königreich ein Klageverfahren gegen die Europäische Zentralbank vor dem Europäischen Gerichtshof. So hatte die Europäische Zentralbank versucht, die Verrechnungsaufsicht über die Transaktionen in der Eurozone in den Euroraum zu verlegen. So ein Schritt hätte London ins Abseits drängen und Orte wie Paris oder Frankfurt als Finanzzentren attraktiver machen können. Dies hätte wiederum die wirtschaftliche Position Großbritanniens geschwächt […].

Fügen wir dem noch die Folgen aus den durchgesickerten „Panama-Papers“ hinsichtlich des Abbaus der britischen Steueroasen hinzu – wie in der Frage-Antwort vom 05.05.2016 bezüglich der „Panama-Papers“ dargelegt - dann zeichnet sich in Anbetracht der von Großbritannien selbst initiierten Volksbefragung das Bild eines Landes ab, das sich selbst „ins Bein geschossen hat“. Würde dieser Abstimmung tatsächlich Folge geleistet werden, dann würde Großbritannien seinen Vorzug als Finanzzentrum verlieren, während Frankfurt - schon jetzt die Finanzhauptstadt der EU – als Finanzzentrum deutlich attraktiver werden würde als London. Die Konsequenzen für Großbritannien wären somit katastrophal und verheerend.

- Was die politischen Konsequenzen angeht, so hatte die Volksabstimmung eine gewaltige Auswirkung auf den Zusammenhalt der Völker Großbritanniens selbst. So haben die Schotten als auch die Nordiren entschieden für den Verbleib in der EU gestimmt. Nun fordern diese Völker nach einem Referendum über ihren Verbleib im Vereinigten Königreich, was bedeutet, dass nun die Einheit Großbritanniens selbst in Frage gestellt wird. Und das ist eine Sache, die seitens der britischen Regierung nicht geplant war. So galt die Verhinderung der Loslösung Schottlands von Großbritannien in der Volksabstimmung 2014 als eine der größten innenpolitischen Errungenschaften Camerons. Die Regierung hatte angenommen, dass die Schottlandfrage nun für lange Zeit versiegelt bleiben würde, jedoch führte das Referendum vom 23.06.2016 dazu, dass diese Angelegenheit erneut ins Rampenlicht rückte. So erklärte die schottische Ministerpräsidentin Sturgeon unmittelbar nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, dass sich die Umstände seit der Volksabstimmung im Jahr 2014, als sich die Schotten für einen Verbleib in Großbritannien aussprachen, geändert hätten und Schottland nun die Initiative ergreifen werde, um mit der EU über einen Verbleib in der Union zu verhandeln. Dies wäre jedoch äußerst schwer zu erreichen, wenn Schottland nicht vorher von Großbritannien unabhängig wird. So erklärte Nicola Sturgeon, dass „Großbritannien, für das sich Schottland bei der Abstimmung im Jahre 2014 entschieden hatte, nicht mehr existiert.“ Sie deutete an, dass es „höchstwahrscheinlich“ zu einer erneuten Volksabstimmung kommen werde. (Middle East Online, 26.06.2016)

Was Nordirland anlangt, das schwächste Flanke Großbritanniens, so rief die Sinn Fein (Irisch-Republikanische Partei, Republican Party), die als politischer Arm der IRA (Irische Republikanische Armee) gilt, am Freitagmorgen „zu einer Volksabstimmung für ein einheitliches Irland auf.“ Dieser Aufruf kam, nachdem die Briten den offiziellen Resultaten zufolge für den Austritt aus der EU stimmten. Die Republican Party bekräftigte, dass das EU-Referendum „gewaltige Konsequenzen für die Natur des britischen Staates“ haben werde. (France 24, 25.06.2016)

Das britische Referendum zum Verlassen der EU führte also dazu, dass die Auflösung Großbritanniens erneut zum Gesprächsthema der Politiker Nordirlands und Schottlands wurde.

Das Abstimmungsergebnis hat daher einen Druck aufgebaut, der zu einem möglichen Zerfall Großbritanniens führen könnte, zusätzlich zu den wahrscheinlichen wirtschaftlichen Verlusten. All dies bestätigt, dass mit dem Referendum genau das Gegenteil dessen erreicht wurde, was Großbritannien sich eigentlich erhofft hatte. Großbritannien ist somit in die Falle seiner eigenen Intrigen getappt und ist dem Vertrauen in die eigene Verschlagenheit zum Opfer gefallen. So zeigten die Tage nach dem Referendum eine in der modernen politischen Geschichte Großbritanniens noch nie dagewesene politische Verunsicherung, zusätzlich zu einer immensen Verwirrung, die sowohl die Regierung als auch die Opposition erfasste. Die „New York Times“ wartete am 27.06.2016 sogar mit der Schlagzeile auf: „Ein Land, berühmt für seine politische und rechtliche Unabhängigkeit, verfällt ins Chaos.“ Damit kommentierte sie die Lage, in der sich Großbritannien nach der Volksabstimmung befindet.

3 – Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass Großbritannien sich um einen schnellen Austritt herumwinden wird. Das Prozedere kann sich sogar über Jahre hinausziehen. Dies unter der Voraussetzung, dass es – bei der Verschlagenheit und Täuschungsfähigkeit, über die es verfügt - überhaupt austreten wird. Alles, was bis jetzt an Erklärungen bekannt wurde und was die Medien an Kommentaren kolportierten, lässt eine Hinauszögerung in hohem Maße wahrscheinlich erscheinen. Mehr noch, es könnte sogar zu einer Umgehung des Referendums selbst kommen. Dies wird durch die folgenden Punkte belegt:

a) Die in Artikel 50 des Lissaboner Vertrages aus dem Jahr 2007 unterzeichneten Bestimmungen lassen Spielraum für Ausflüchte und Verzögerungen, die Großbritannien mit ihrer politischen Verschlagenheit und Hinterlist beherrscht. Der Artikel besagt, dass Großbritannien den Europäischen Rat, der aus den Staatsoberhäuptern der Mitgliedsstaaten besteht, zunächst über ihren beabsichtigten Austritt informieren muss. Im Anschluss daran würde über eine Periode von maximal zwei Jahren über die Austrittsbedingungen verhandelt werden. So sagte Cameron vor dem britischen Parlament: „Die Regierung wird zum derzeitigen Zeitpunkt keine Verhandlungsgespräche über den Austritt aus der EU aufnehmen. Bevor Artikel 50 des Lissaboner Vertrages zur Anwendung kommt, müssen wir zunächst festlegen, in welcher Art der Beziehung wir zur Europäischen Union stehen wollen.“ (Binaa, 27.06.2016)

Cameron unterstrich in einer Rede gegenüber dem House of Commons, dass Großbritannien es alleine sei, das bestimmen werde, wann das Austrittsszenario beginnt. Er sagte: „Wir haben die Notwendigkeit der Verhandlungsvorbereitungen ausdiskutiert, insbesondere die Tatsache, dass die britische Regierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auf Artikel 50 des Europäischen Abkommens in Bezug auf den Austritt eines Mitgliedsstaates aus der Union zurückgreifen wird.“ (aljazeera.net, 27.06.2016)

Auf diese Weise ist es möglich, das Austrittsgesuch Großbritanniens hinauszuzögern, bevor die Austrittsverhandlungen überhaupt beginnen! Darüber hinaus tritt Cameron nicht unverzüglich zurück, sondern erst nach einer Frist von ungefähr drei Monaten und der Bildung einer neuen Regierung. Diese soll dann - wenn sie es möchte - das Austrittsgesuch stellen. Das bedeutet, dass die Verhandlungsgespräche dem neuen Premierminister überlassen werden, der auf Cameron im September 2016 folgen wird, wenn die Conservative Party zusammenkommt, um einen neuen Parteivorsitzenden zu wählen. Cameron äußerte dies explizit, als er die Ergebnisse der Volksbefragung bekannt gab. So erklärte er, dass er im Oktober zurücktreten werde und die Frage, wann Artikel 50 aktiviert wird, seinem Nachfolger überlasse. (http://elaph.com/Web/News/2016/6/1096000). Ebenso betonte George Osbourne, der britische Schatzkanzler, dass „die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens nicht beginnen werden, ehe eine neue Regierung im Amt ist.“ (aljazeera.net, 27.06.2016)

Zudem erklärte einer der „Legal Commentators“ (Rechtsexperten): „Tatsache ist, dass die Möglichkeit, dass Artikel 50 überhaupt nicht ausgeführt wird, steigt, je länger man dessen Ankündigung hinauszögert. Je länger die Verzögerung anhält, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ereignisse dazwischenkommen oder man sich Ausreden ausdenkt“ („Why the Article 50 Notification is Important“, David Allen Green, 25.06.2016)

Deshalb meinten zwei europäische Diplomaten, dass Großbritannien trotz des Austrittsvotums seiner Bürger den Austrittsmechanismus aus der EU vielleicht niemals in Gang setzen werde. Ein Diplomat, der anonym bleiben wollte, erklärte: „Ich persönlich glaube, dass sie ihr Gesuch, aus der EU auszutreten, niemals an die EU stellen werden.“ Dem fügte er hinzu: „Wir wollen, dass London Artikel 50 jetzt in Anspruch nimmt, so dass die Angelegenheit klar wird. Da wir sie jedoch nicht dazu zwingen können, nehme ich an, dass sie sich Zeit lassen.“ Dann sagte er noch: „Ich halte es nicht für abwegig - und das ist meine persönliche Meinung - dass sie es niemals tun werden.“ (Arabi, 27.06.2016)

b) Es ist sogar möglich, dass sie das Referendum selbst umgehen, indem z. B. nach juristischen Kniffen gesucht wird, um es zu wiederholen oder über dessen Bedingungen zu verhandeln. Auch wenn die Wiederholung des Referendums für ein Land, das sich als altehrbare Demokratie ansieht und der Meinung des Volkes nicht widerspricht, peinlich wäre, wird es bei der Hinterlist und Verschlagenheit der britischen Politik nicht unmöglich sein, einen Ausweg zu finden.

Was darauf hindeutet, sind die folgenden Punkte:

a) Es gibt eine Onlinepetition, die zur Wiederholung der Volksbefragung Unterschriften sammelt. „Eine Petition auf der Online-Seite des britischen Parlaments, die eine Wiederholung des Austrittsreferendums aus der EU fordert, sammelte bis zum 28.06.2016 bereits 3,8 Millionen Unterschriften. Sie alle verlangen eine Wiederholung des Referendums. Die Petition, die von William Oliver Healey initiiert wurde, besagt: „Wir, die Unterzeichner, rufen die Regierung ihrer Majestät zur Umsetzung der Regel auf, dass - wenn bei einer Wahlbeteiligung von weniger als 75% das Ergebnis für einen Austritt oder einen Verbleib weniger als 60% beträgt - eine Wiederholung des Referendums stattfinden muss.“ (British Telegraph Newspaper, 27.06.2016)

b) In Anbetracht des Umstandes, dass eine Wiederholung des Referendums die von Großbritannien hochgepriesene Demokratie erschüttern würde, begannen einige britische Rechtsexperten auch andere Auswege aufzuzeigen. Sie erklärten, dass das Parlament (House of Commons und House of Lords) den Premierminister davon abhalten könne, die EU über die Austrittsabsicht zu informieren. Baron Pannick QC (bekannter Spezialist des öffentlichen Rechts) meinte etwa: „Ohne ein solches Gesetz ist der Premierminister rechtlich nicht dazu in der Lage, die EU über die Austrittsabsicht zu informieren.“ (www.bbc.com.news/uk-politics-uk-leaves the-the-eu-36671629)

c) Es gibt aber auch einen externen Faktor, der an einem Verbleib Großbritanniens in der EU Interesse hat, damit die EU geschwächt wird und das Vereinigte Königreich weiterhin ein Spannungsherd in der Union bleibt. Dieser externe Faktor ist die USA. „Obama besuchte London im letzten April und drängte die Briten dazu, für einen Verbleib in der EU zu stimmen.“ (aljazeera.net, 24.06.2016)

Amerika möchte, dass Großbritannien Teil der EU bleibt, um zu gewährleisten, dass die EU zerbrechlich bleibt. Die USA wissen nämlich, dass Großbritannien nicht auf eine bessere Europäische Union hinarbeitet, es Entwicklungen in dieser Hinsicht behindert und zahlreiche Unionsentscheidungen sabotiert, weil es nur auf sein eigenes Interesse bedacht ist. In dieser Weise fungiert Großbritannien als destruktives Element innerhalb der Union. All das liegt im Interesse der USA, die kein starkes Europa wollen, das mit ihnen in ökonomischer oder politischer Hinsicht auf der Weltbühne konkurrieren könnte. Würde der Zerfall der EU mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU einhergehen, so würde dies im Interesse Amerikas liegen. Aus diesem Grunde schickte Obama seinen Außenminister Kerry als Vermittler zwischen der EU und Großbritannien nach Europa, nachdem das Referendumsergebnis bekannt geworden war. Als Kerry am 27.06.2016 in Brüssel ankam, sagte er: „Ich denke, es ist absolut notwendig, dass wir in dieser Übergangssituation fokussiert bleiben, nicht den Kopf verlieren und niemand unbedacht handelt“. Nach seinem Treffen mit Cameron in London sagte Kerry: „Die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, wird möglicherweise niemals in die Tat umgesetzt werden. London ist diesbezüglich nicht in Eile, und Cameron fühlt, dass er nicht in der Lage ist, über einen Austritt zu verhandeln, den er selbst nie wollte. […] Der Premierminister war der Idee, Artikel 50 des Vertrages von Lissabon zu aktivieren, sehr abgeneigt.“

Die Aktivierung von Artikel 50 würde eine 2-Jahres-Frist zum Aushandeln des EU-Austritts auslösen und Kerry machte deutlich, dass Großbritannien sich selbst nicht außerhalb der EU sehen möchte, bevor ein neuer Kooperationsvertrag ausgehandelt worden ist. Auf die Frage hin, ob die Austrittsentscheidung rückgängig gemacht werden kann und wenn ja, auf welchem Wege, antwortete Kerry: „Ich denke, es gibt diesbezüglich eine Reihe von Möglichkeiten“. (France 24, 29.06.2016)

Dieser externe Faktor kann dazu beitragen, dass eine neue Art der Beziehung zwischen Großbritannien und Europa aufgebaut wird. Dies liegt im Interesse Amerikas, wie wir bereits dargelegt haben.

4 – Es scheint, als hätte Europa die Spielchen Großbritanniens durchschaut. So möchten die Briten zur Wahrung ihrer Interessen eine inoffizielle Abmachung auf Basis des norwegischen oder schwedischen Modells treffen, bevor Artikel 50 des Lissaboner Vertrages zur Initiierung des Trennungsprozesses aktiviert wird. Im Gegensatz aber zu Norwegen und Schweden möchte Großbritannien zwar vom europäischen Markt profitieren, den EU-Bürgern jedoch keine vollständige Freizügigkeit gewähren, was ja ein Hauptanliegen der britischen Wählerschaft ist. Merkel schloss dies kategorisch aus, da die Freizügigkeit innerhalb der EU wie auch der freie Handel mit Waren, Dienstleistungen und Kapital zu den Freiheiten zählt, die der EU heilig sind. Auch nimmt die EU die Arglist Großbritanniens durchaus wahr. So hat sie diese Idee nicht nur abgelehnt, sondern jegliche geheimen Verhandlungen zwischen irgendeinem der 27 Mitgliedstaaten und Großbritannien untersagt. Der europäische Kommissionspräsident Jean Claude Juncker sagte dazu: „Lasst mich eine Sache klarstellen: Es können keine geheimen Versuche mit der britischen Regierung stattfinden.“ Für alle Kommissionsbeamten und Mitarbeiter in den Ausschüssen machte er die Sache klar und hielt fest: „Es ist nicht erlaubt, Geheimverhandlungen zu führen... es ist nicht erlaubt, Geheimverhandlungen zu führen.“ (Evening Standard, 28.06.2016)

Das europäische Parlament wurde am 28.06.2016 einberufen und setzte seine Sitzungen zwei Tage lang fort. Eine ihrer ersten Forderungen war es, dass Großbritannien den aus Artikel 50 des Lissaboner Vertrags hervorgehenden Prozess unverzüglich beginnen soll, so dass jedweder Zweifel, der mögliche Fehlschlüsse zulassen würde, entfernt und die Union geschützt wird. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean Claude Juncker, sagte vor dem europäischen Parlament: „Wir können nicht lange Zeit im Dunkeln bleiben. Ich wünsche mir, dass das Vereinigte Königreich seinen Standpunkt unverzüglich aufklärt, nicht morgen und nicht übermorgen.“ Zusätzlich schloss er jegliche Art der geheimen Verhandlungen bezüglich der Austrittskonditionen Großbritanniens aus. Auch schloss er aus, dass Großbritannien den Zeitplan dafür vorgibt: „Wir sind es, die die Tagesordnungspunkte festsetzen, und nicht diejenigen, die die Europäische Union verlassen wollen.“ (AFP, Al-Jazeera, 28.06.2016)

Cameron nahm an der ersten EU-Sitzung (nach dem Referendum) in Brüssel teil. Dann verließ er sie mit den Worten: „Ich hoffe sehr, dass wir die engst-mögliche Beziehung im Bereich Handel und Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen aufbauen, denn dies wäre gut für uns.“ (DPA News, 28.06.2016)

Dies bedeutet, dass er nicht die EU will, sondern sich das für Großbritannien herauspicken möchte, was es benötigt, nämlich die wirtschaftliche und die sicherheitspolitische Kooperation. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel richtete eine klare Botschaft Richtung London mit den Worten: „Wer auch immer diese Familie verlassen möchte, kann nicht erwarten, sämtliche Verantwortungen von sich zu weisen, nur um dann die Privilegien behalten zu können.“ (DPA, 28.06.2016)

Dies bedeutet, dass die Europäer ihre Position gegenüber Großbritannien mit Entschlossenheit eingenommen haben und erwarten, dass Großbritannien schnellstmöglich austritt, bevor Europa durch die britischen Austritts- und Verzögerungsmanöver Schaden nimmt.

Am Ende des Gipfeltreffens sagte der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk: „Die europäischen Führer machten am Mittwoch dem Vereinigten Königreich klar, dass es nach seinem Austritt aus der Union nicht nach Belieben darüber verhandeln könne, dem europäischen Binnenmarkt beizutreten, ohne die Freizügigkeit der Personen zu akzeptieren. […] Es kann keinen gemeinsamen Markt „nach Maß“ geben.“ Er fügte hinzu, dass die Erstverhandlungen, die in Brüssel nach der britischen Entscheidung zum Verlassen der Union stattgefunden haben, zu keinen Ergebnissen geführt hätten. Deswegen habe man entschieden, am 16. September in Bratislava (Hauptstadt der Slowakei) einen Beratungsgipfel aller 27 Mitgliedstaaten abzuhalten, um die Diskussionen weiterzuführen. Auch erklärte er: „Die Teilnehmer kamen darin überein, dass wir einen ernsten Moment unserer gemeinsamen Geschichte durchleben. […] Bei unseren Gesprächen trat eine Sache deutlich zutage: Die Staatschefs sind absolut entschlossen, vereint zu bleiben.“ (AFP, 29.06.2016)

Das bedeutet nicht, dass die EU vom Ergebnis der Volksbefragung nicht ebenfalls negativ betroffen wäre, auch wenn die Ernsthaftigkeit der Lage nicht an die Großbritanniens herankommt. Die EU ist sehr wohl betroffen davon, da nun die Tür für andere Mitgliedstaaten geöffnet wurde, ebenfalls Abstimmungen zu fordern. So forderten viele der rechtsorientierten Kräfte von ihren Regierungen, die Abhaltung ähnlicher Referenden. Dazu zählt auch Frankreich, die erste Gründungszelle der Europäischen Union. So hat die Europäische Kommission 32 Anträge europäischer Parteien zur Abhaltung ähnlicher Referenden in ihren Ländern gezählt. Frankreich gehörte auch dazu. Und dies gefährdet den Fortbestand der gesamten Europäischen Union.

Die Gründerstaaten der EU, insbesondere die beiden Hauptmächte Deutschland und Frankreich, die über den größten Einfluss verfügen, verkündeten ihre Entschlossenheit, den Fortbestand der EU zu gewährleisten. Sie setzten auch Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg als weitere Gründerstaaten in Bewegung, um eine Dringlichkeitssitzung einzuberufen. Nach der Sitzung erklärte Frankreichs Präsident Hollande: „Der Austritt Großbritanniens aus der EU stellt für Europa eine Herausforderung dar.“ Zugleich äußerte er sein Bedauern über diese „schmerzhafte Entscheidung“. Er fügte hinzu: „Die Abstimmung der Briten für einen EU-Austritt stellt Europa vor eine gefährliche Prüfung, denn es kann nicht mehr so weitermachen wie früher. […] Europa muss seine Solidarität und Stärke demonstrieren. […] (AFP, 24.06.2016)

Deutschland, der zweite Gründerstaat der EU, machte es Frankreich gleich. So stelle Bundeskanzlerin Merkel den deutschen Standpunkt wie folgt dar: „Zweifelsfrei ist dies ein herber Schlag für Europa und den Vereinigungsprozess Europas.“ Zugleich lud sie den französischen Präsidenten Hollande, den italienischen Premierminister Renzi und den Europäischen Ratspräsidenten Tusk zu einem Treffen in Berlin am Montag, den 27.06.2016, ein. Sie sagte: „Was die Folgen dieser Entscheidung sein werden, hängt davon ab, ob die anderen 27 Mitgliedsstaaten gewillt und in der Lage sind, in Bezug auf die Abstimmung Großbritanniens keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, die Europa nur weiter zerteilen würden. Heute ist für Europa, die Europäische Union und die europäische Zusammenarbeit ein Tag der Veränderung. Die Mitgliedsstaaten müssen bereit und in der Lage sein, das Ergebnis mit Ruhe und Besonnenheit genauestens zu analysieren und auf dieser Grundlage gemeinsam die richtigen Entscheidungen zu treffen.“ (AFP, 24.06.2016)

Der deutsche Außenminister Steinmeier sagte nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses im ZDF: „Die Regierung Großbritanniens hat mit dem Schicksal Europas gespielt und verloren.“ Den Deutschen ist also die britische Hinterlist und deren schlimmen Resultaten bewusstgeworden. So hat der deutsche Außenminister die Wahrheit Großbritanniens offengelegt, dass es mit dem Schicksal der Europäischen Union gespielt habe und deren gesunden und starken Fortbestand nicht wolle. Steinmeier zählt zu jenen deutschen Politikern, denen die Realität Großbritanniens am stärksten bewusst ist. Er möchte nicht, dass es in der Union bleibt, weil er erkannt hat, dass Großbritannien in Wahrheit ein destruktives Element ist.

Das Treffen zwischen den Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Italiens fand in Berlin am 27.06.2016 statt, bei dem sie ihre Entschlossenheit bekräftigten, die Europäische Union geschlossen halten zu wollen. So lehnten sie jegliche Verhandlung mit Großbritannien über die Zeit nach dessen Austritt aus der EU ab, bevor London offiziell das Austrittsgesuch gestellt hat. Auf diese Weise wollten sie Druck auf Großbritannien aufbauen, damit es sein Austrittsgesuch stellt und die Angelegenheit nicht länger schwebend bleibt, was für die EU schädlich wäre. Merkel erklärte dazu: „Wir sind uns einig darüber, dass es seitens der Europäischen Union solange keine formellen oder informellen Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens geben wird, bis sie ihr Austrittsgesuch dem Europäischen Rat vorgelegt haben.“ (dpa, 27.06.2016)

Es ist ihnen also bewusst, dass die Spielchen und Manöver Großbritanniens die Ursache für das Dilemma sind. Ihr Problem liegt jedoch darin, ob sie in der Lage sein werden, ihre Union aufrechtzuerhalten und sich vor den Manövern Großbritanniens zu schützen. Wobei zu bedenken ist, dass die Briten das politische Spiel besser beherrschen als sie. Sollten die Europäer jedoch in der Lage sein, Großbritannien schnell loszuwerden und Maßnahmen zu setzen, um die Union zu stärken, so wäre dies besser für sie. Sofern es Großbritannien aber nicht schaffen sollte, eine vernünftige Beziehung zur EU aufzubauen, wird es von außen versuchen, die EU auszuhöhlen. Großbritannien steht jedoch aufgrund seiner düsteren wirtschaftlichen Lage, dessen schlimme Auswirkungen bereits sichtbar geworden sind, vor einer schicksalhaften Situation. Sollte sich auch seine innere Lage erschüttern, da Schottland bereits die Abhaltung eines neuen Referendums über einen Austritt aus der britischen Union fordert und Irland ebenso den Austritt aus dem Königreich und den Anschluss an Irland verlangt - sollte dies wirklich geschehen, wäre es das Ende Großbritanniens. Denn dann bestünde es nur mehr aus England und Wales.

Die Durchführung des Referendums war daher für Großbritannien ein verlorenes Glücksspiel. Es könnte - so wie es bisher scheint – über seine eigene Arglist stürzen. Davon ist auch zukünftig, aufgrund der bereits zuvor dargelegten Punkte, auszugehen. Sollte sich die Europäische Union weiterhin der Spielchen Großbritanniens bewusst sein, so kann sich in Bezug auf die Entwicklung des Landes folgende Aussage eines Beobachters bewahrheiten: „Großbritannien wird zu einer Insel wie Hong Kong werden, seiner früheren Kolonie. Jedoch wird es an der Westküste Europas und nicht an der Südküste Chinas liegen!“

5 – Zusammenfassend lässt sich sagen: Großbritannien befindet sich in einem Zustand großer Erschütterung und in einer Situation, die es nicht geplant hatte. In dieser Situation ist es nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Rudert es vom Referendum zurück, ist es mit juristischen Hindernissen konfrontiert und mit dem Vorwurf, die Demokratie zu missachten, mit der es sich so sehr rühmt. Den EU-Austritt weiter zu verfolgen, würde zu einem großen Schaden für die britischen Interessen führen. So könnten die Zeiten der britischen Sonderkonditionen vorbei sein. In diesem Zusammenhang erklärte Jean Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission: „Es ist eine Pflicht für jeden, der Teil des gemeinsamen europäischen Marktes sein möchte, die strengen Regeln der EU ausnahmslos zu befolgen.“ (BBC, 29.06.2016) In dieser Situation ist es für Großbritannien nur natürlich, sich der Verzögerungstaktik zu bedienen und es abzulehnen, das Austrittsgesuch zu stellen, in der Hoffnung, dass die kommenden Monate einen Ausweg ermöglichen, der ihm die Wahrung des größten Teils seiner Interessen gewährleistet.

Findet sich Großbritannien jedoch in einer Situation wieder, die es in den unabdingbaren Austritt drängt ohne jegliche wirtschaftliche oder politische Beziehung zur Europäischen Union, in einer Situation, die in eine wirtschaftliche Rezession und einen politischen Zerfall führt, so ist es wahrscheinlich, dass es sich seiner schmutzigen Mitteln bedienen wird, um die Europäische Union aufzusplittern. Einige europäische Staaten mit einer traditionellen Beziehung, also einer „Loyalität“ zu Großbritannien, könnten auf die Briten hören. In diesem Zusammenhang sagte Nigel Farage, Führer der British Independence Party, am 28.07.2016 während einer Auseinandersetzung im Europäischen Parlament in Brüssel: „Großbritannien wird nicht das letzte Land sein, dass die Europäische Union verlässt.“ Damit deutete er an, dass andere Staaten Großbritannien beim Austritt folgen werden. Auch könnten die Briten bei ihrem Bestreben zur Zerrüttung der EU in den USA einen Beistand finden. Dies, weil die Interessen Großbritanniens in dieser Frage mit denen der USA vollkommen zusammenlaufen.

Folglich kann gesagt werden, dass die BREXIT-Abstimmung zum Gegenteil dessen führte, was Großbritannien ursprünglich geplant hatte. Sie hat eine Atmosphäre der Unsicherheit geschaffen und die Möglichkeit, dass sich die Dinge in jede Richtung entwickeln.

Großbritannien könnte das Referendum umgehen und ihre Demokratie damit über den Haufen werfen. Gleichzeitig aber birgt die Angelegenheit kein geringes Gefahrenpotential. Sie kann zu einem Zerstörungsfaktor für Großbritannien werden bevor sie zu einem solchen für die EU wird. Allah, der Machtvolle und Weise, hat die Wahrheit gesprochen, als Er sagte:

(وَلَا يَحِيقُ الْمَكْرُ السَّيِّئُ إِلَّا بِأَهْلِهِ)

Und die böse Heimtücke fällt nur auf ihren Urheber zurück. (35:43)

30. Rama

ān 1437 n. H.
05/07/2016

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